Der Hintergrund zur Bescheinigung
Sofern deutsche Arbeitnehmer in der EU/EWR oder der Schweiz tätig sind, gelten für sie die Vorgaben der Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO (EG) Nr. 883/2004, 987/2009). Danach unterliegt eine Person, die in diesen Staaten eine Beschäftigung ausübt, grundsätzlich den dortigen Rechtsvorschriften (Beschäftigungsstaatsprinzip). Von diesem Grundsatz wird jedoch bei Entsendungen von Arbeitnehmern abgewichen, um häufige Wechsel zwischen den Sozialversicherungssystemen der verschiedenen Staaten zu vermeiden. Entsprechend dient die sogenannte „Bescheinigung A 1“ dem Nachweis, dass ausnahmsweise nicht das Beschäftigungsstaatsprinzip gilt, sondern der Heimatstaat für den Bereich der sozialen Sicherheit verantwortlich bleibt
Die Mitführungspflicht der Bescheinigung A 1
Die „Bescheinigung A 1“ hat der Mitarbeiter grundsätzlich bei jeder Tätigkeit im EU/EWR-Ausland und der Schweiz im Original mitzuführen (eine Kopie genügt nicht). Derzeit wird im Sozialversicherungsrecht grundsätzlich nicht zwischen langfristiger Entsendung und kurzfristiger Dienstreise differenziert. Das bedeutet, dass für jede noch so kurze grenzüberschreitende Tätigkeit schon ab dem 1. Tag die „Bescheinigung A 1“ mitgeführt werden muss. Eine zeitliche Bagatellgrenze für Dienstreisen oder Entsendungen sehen die gesetzlichen Rahmenbedingungen derzeit (noch) nicht vor. Das heißt, jedes (stundenweise) Meeting oder auch jeder Workshop im EU/EWR-Ausland erfordert grundsätzlich eine A 1-Bescheinigung.
Entwicklung auf europäischer Ebene
Aus der „Alpenrind“-Entscheidung des EuGH (Urt. v. 06.09.2018 – Az. C-527/16 Rn. 70 f.) ergibt sich, dass die „Bescheinigung A 1“ bei kurzfristigen und kurzzeitigen Geschäftsreisen ausnahmsweise auch rückwirkend beantragt werden kann, wenn die Beantragung im Voraus nicht rechtzeitig möglich ist.
Am 25.09.2019 hat die EU-Kommission die Handlungsanleitung „Practical Guide on Posting“ zur Entsendungsrichtlinie (EG) 96/71 veröffentlicht. Die Entsendungsrichtlinie sieht Meldepflichten für international tätige Unternehmen gegenüber den nationalen Behörden im europäischen Ausland vor, um einheitliche Mindestarbeitsbedingungen zu gewähren. In der Handlungsanleitung wird ausgeführt, dass Arbeitnehmer, die vorübergehend in einen anderen Mitgliedstaat gesendet werden, ohne dort eine Dienstleistung zu erbringen, nicht als entsendete Arbeitnehmer im Sinne der Entsendungsrichtlinie einzuordnen sind. Als Beispiele werden Dienstreisen, Konferenzen, Besprechungen, Messen und Berufsfortbildungen genannt. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich diese Ausführungen spezifisch auf den Entsendungsbegriff im Rahmen der Entsendungsrichtlinie beziehen und nicht auf den Entsendungsbegriff bezüglich der „Bescheinigung A 1“.
Es spricht zwar viel dafür, dass der europäische Gesetzgeber diesbezüglich vom selben Begriff ausgeht; das muss aber nicht sein. Außerdem haben derartige Handlungsanleitungen keine unmittelbar bindende Wirkung. Solange der EuGH oder der europäische Gesetzgeber das nicht klarstellen, kann deshalb nicht darauf vertraut werden, dass die „Bescheinigung A 1“ bei Dienstreisen entbehrlich ist.
Entwicklung auf nationaler Ebene
Entgegen dieser Entwicklung auf europäischer Ebene haben einige EU/EWR-Staaten ihre Gesetze zur Bekämpfung von Sozialdumping und Schwarzarbeit aktuell verschärft und verlangen die Mitführung einer „Bescheinigung A 1“ bei allen Dienstreisen. Das betrifft derzeit zum Beispiel Frankreich und Österreich. Bei Arbeitsunfällen kann in manchen Ländern (z.B. in Italien und der Schweiz) die Sachleistungshilfe im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung nur in Anspruch genommen werden, wenn auch die „Bescheinigung A 1“ vorgelegt wird.
DREITOR Empfehlung
Während sich auf EU-Ebene bezüglich der „Bescheinigung A 1“ eine Lockerung der Mitführungspflicht für kurze Dienstreisen abzeichnet, gilt nach den nationalen Vorschriften einiger EU-Mitgliedstaaten weiterhin eine strenge Mitführungspflicht für alle Dienstreisen. Um Bußgelder zu vermeiden, sollten Mitarbeiter deshalb grundsätzlich bei jeder Dienstreise im EU/EWR-Ausland und der Schweiz die „Bescheinigung A 1“ im Original mitführen.
Beginnt eine kurzzeitige oder kurzfristige Dienstreise, bevor die endgültige „A 1-Bescheinigung“ vorliegt, dann sollte der Arbeitnehmer zumindest eine Kopie der Antragsbestätigung und des ausgefüllten Antrags mitführen.
Kann der Mitarbeiter bei einer Kontrolle weder die „A 1-Bescheinigung“ noch eine Antragsbestätigung und Antragskopie vorweisen, können behördliche Maßnahmen und Bußgelder unter Umständen noch durch die nachträgliche Beantragung der „Bescheinigung A 1“ abgewendet werden (wobei auch diesbezüglich die Rechtslage und Handhabung in den einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich ist).