DER GESCHÄFTSFÜHRER IM SOZIALVERSICHERUNGSRECHT

Der GmbH-Geschäftsführer ist – obwohl er aus arbeitsrechtlicher Sicht in der Regel kein Arbeitnehmer ist – in den letzten Jahren verstärkt ins Visier der Sozialversicherungsträger geraten. Die Frage der Sozialversicherungspflicht ist in der Praxis sehr bedeutsam, da dies erhebliche finanzielle Auswirkungen haben kann.

 

Der Geschäftsführer unterliegt nicht der Sozialversicherungspflicht, wenn er selbständig tätig ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich zwischenzeitlich insbesondere nach der Verteilung der Gesellschaftsanteile und dem Umfang der Weisungsgebundenheit. Abgrenzungsfragen stellen sich nicht mehr nur bei sog. Fremdgeschäftsführern, sondern zunehmend auch bei Gesellschafter-Geschäftsführern, die selbst an der GmbH beteiligt sind.

 

Sowohl die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) als auch das Bundessozialgericht (BSG) nehmen in immer weniger Fällen eine Sozialversicherungsfreiheit an, selbst wenn der Geschäftsführer als Anteilseigner an der Gesellschaft beteiligt ist.

 

 

IST EIN GMBH-GESCHÄFTSFÜHRER SOZIALVERSICHERUNGSPFLICHTIG?

Eine Sozialversicherungspflicht besteht für alle Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind und daher grundsätzlich für alle abhängig Beschäftigten i.S.d. § 7 Abs. (1) S. 1 SGB IV. Demnach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Jedoch ist die Beschäftigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinn gerade nicht auf dieses begrenzt, so dass auch Personen, die nach arbeitsrechtlicher Wertung keine Arbeitnehmer sind – wie in der Regel auch der Geschäftsführer – Beschäftigte sein können.

 

Wichtige Kriterien für das Vorliegen einer Beschäftigung ist eine persönliche Abhängigkeit, eine Tätigkeit nach Weisung und die Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

 

Demgegenüber sind typische Kriterien einer Selbständigkeit die fehlende Weisungsgebundenheit, die freie Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft, das eigene Unternehmerrisiko und das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte sowie eigener Betriebsmittel.

 

Besteht eine Sozialversicherungspflicht müssen für den Beschäftigten Beiträge zur Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung und zur Unfallversicherung abgeführt werden.

 

 

MEHRHEITSGESELLSCHAFTER

Nachdem ein GmbH-Geschäftsführer in der Vergangenheit zumindest dann regelmäßig nicht sozialversicherungspflichtig war, wenn er selbst an der Gesellschaft beteiligt war und diese als „Kopf und Seele“ faktisch alleine geführt hat, geht das BSG nunmehr nur noch in Ausnahmefällen von einer Sozialversicherungsfreiheit aus.

 

Denn es stellt inzwischen ausschließlich darauf ab, ob der Geschäftsführer auch rechtlich die Möglichkeit hat, Entscheidungen durchzusetzen und ihm nicht genehme Beschlüsse und Weisungen der Gesellschafter an sich jederzeit zu verhindern.

 

Allein aus seiner Organstellung und der Berechtigung, die GmbH nach außen zu vertreten, folgt dies nicht, da der GmbH-Geschäftsführer gemäß § 37 Abs. (1) GmbHG an die Weisungen der Gesellschafter gebunden ist und deren Prüfung und Überwachung unterliegt, § 46 Nr. 6 GmbHG.

 

Die Stellung des Gesellschafter-Geschäftsführers beurteilt sich nach der Verteilung der Gesellschaftsanteile. Hält der Gesellschafter-Geschäftsführer 50 % oder mehr der Gesellschaftsanteile, kann er maßgeblichen Einfluss auf die Gesellschafterversammlung nehmen, ohne hierbei auf weitere Gesellschafter angewiesen zu sein. Durch diese Möglichkeit, eigenständig Entscheidungen – notfalls auch gegen den Willen anderer Gesellschafter – zu treffen bzw. zumindest ihm nicht genehme Beschlüsse zu verhindern, verfügt er in der Regel über die für die Selbstständigkeit erforderliche Rechtsmacht und unterfällt somit nicht der Sozialversicherungspflicht

 

 

MINDERHEITSGESELLSCHAFTER UND FREMDGESCHÄFTSFÜHRER IM SOZIALVERSICHERUNGSRECHT

Hat der Gesellschafter-Geschäftsführer dagegen weniger als 50 % der Gesellschaftsanteile, kann er nicht ohne Zustimmung mindestens eines weiteren Gesellschafters Beschlüsse fassen und auch regelmäßig nicht verhindern. Damit ist der Minderheitsgesellschafter grundsätzlich – zumindest in faktischer Hinsicht – weisungsgebunden und damit abhängig beschäftigt und sozialversicherungspflichtig. Das BSG hat seine frühere Rechtsprechung aufgegeben, nach der es ausreichend war, dass der Minderheitsgesellschafter aufgrund seiner Stellung im Betrieb („Kopf und Seele“ des Unternehmens) faktisch eigenständig Entscheidungen treffen kann und im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen konnte.

 

Diese faktische Dominanz des Geschäftsführers war vor allem in Familienunternehmen verbreitet, in denen die Gesellschafter ihr Direktionsrecht aufgrund familiärer Rücksichtnahme nicht ausgeübt haben.

 

Diese „Kopf und Seele“ Rechtsprechung hat das BSG im Jahr 2015 endgültig aufgegeben und lässt eine faktische Einflussmöglichkeit des Geschäftsführers zwischenzeitlich nicht mehr für das Vorliegen einer Selbständigkeit ausreichen, da diese Rechtsmacht nur solange besteht, wie mit den (übrigen) Gesellschaftern Einigkeit besteht. Im Streitfall liegt diese erforderliche Rechtsmacht jedoch nicht mehr vor (sog. „Schönwetterselbständigkeit“).

 

Fremdgeschäftsführer sind nach der neuen Rechtsprechung des BSG grundsätzlich sozialversicherungspflichtig, da sie nicht eigenständig Entscheidungen für die Gesellschaft treffen und insbesondere nicht sämtliche ihnen nicht genehme Entscheidungen verhindern können.

 

 

ABWEICHENDE VEREINBARUNGEN

Etwas Anderes kann hinsichtlich der Minderheitsgesellschafter und Fremdgeschäftsführer nur noch gelten, wenn der (Minderheitsgesellschafter) Geschäftsführer tatsächlich die Möglichkeit hat, seinen Einfluss auch gegen den Willen der (übrigen) Gesellschafter durchzusetzen und auch ihm nicht genehme Weisungen zu verhindern.

 

In der Vergangenheit hat die Rechtsprechung hier sowohl Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag, schuldrechtliche Vereinbarungen, aber auch tatsächliche Umstände genügen lassen. Nach der neuen Rechtsprechung des BSG ist nur noch die im Gesellschaftsvertrag selbst eingeräumte „Sperrminorität“ geeignet, dem Gesellschafter-Geschäftsführer die erforderliche, durchsetzbare Rechtsmacht zu verleihen.

 

Die bisher in der Praxis weit verbreiteten schuldrechtlichen Stimmbindungsvereinbarungen außerhalb des Gesellschaftsvertrags, die eine ausreichende Einflussmöglichkeit des Gesellschafters sichern sollten, lässt das BSG nicht mehr genügen, da diese auch gegen den Willen des Geschäftsführers wieder geändert und – zumindest aus wichtigem Grund – gekündigt werden können. Daher ändern solche schuldrechtlichen Vereinbarungen nichts an der Weisungsunterworfenheit und der Beurteilung der sozialversicherungsrechtlichen Stellung.

 

Eine abschließende und rechtssichere Regelung kann daher nur noch durch eine gesellschaftsrechtliche Vereinbarung getroffen werden.

 

 

VERTRAUENSSCHUTZ

Ein Vertrauensschutz für „Altverträge“ räumt das BSG nicht ein. Auch Geschäftsführerverträge, die in der Vergangenheit stets ohne Beanstandung geblieben sind, können bei einer zukünftigen Betriebsprüfung für die Vergangenheit als sozialversicherungspflichtig eingestuft werden. Änderungen der Verträge können nur für die Zukunft vorgenommen werden.

 

Lediglich Geschäftsführer, die einen bestandskräftigen Statusfeststellungsbescheid erhalten haben, können sich trotz der geänderten Rechtslage auf Vertrauensschutz berufen.

 

 

FAZIT

Die fehlerhafte sozialversicherungsrechtliche Beurteilung eines Geschäftsführervertrages kann zu erheblichen Beitragsnachzahlungen für die Vergangenheit führen. Nachzuzahlen sind nicht nur die Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile der Beiträge zur Sozialversicherung, sondern zusätzlich Säumniszuschläge in Höhe von 1 % je angefangenem Monat für bis zu vier Jahren.

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Dr. Oliver Hahn

Partner · Gründer

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht

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