BETRIEBSRÄTESTÄRKUNGSGESETZ – REFERENTENENTWURF DES BUNDESMINISTERIUMS FÜR ARBEIT UND SOZIALES

BETRIEBSRÄTESTÄRKUNGSGESETZ – REFERENTENENTWURF DES BUNDESMINISTERIUMS FÜR ARBEIT UND SOZIALES

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat noch kurz vor dem Ende des Jahres 2020 den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Förderung der Betriebsratswahlen und zur Stärkung der Betriebsräte (Betriebsrätestärkungsgesetz) vorgelegt.

 

Dieser Referentenentwurf sieht unter anderem vor, die Gründung und Wahl von Betriebsräten zu fördern und zu erleichtern, das Engagement der Betriebsräte im Hinblick auf die Qualifizierung der Arbeitnehmer zu stärken, die Teilnahme an virtuellen Betriebsratssitzungen mittels Video- oder Telefonkonferenz dauerhaft, nicht wie zuvor nur bis 31.12.2020, zu ermöglichen sowie die Rechte des Betriebsrats beim Einsatz von künstlicher Intelligenz und bei mobiler Arbeit zu stärken.

 

Bemerkenswert ist der Zeitpunkt, zu dem der Referentenentwurf veröffentlicht wird, wo zu erwarten wäre, dass Sachthemen dieser Art weitgehend durch die aktuelle Dynamik der Corona-Pandemie überlagert sind.

 

Andererseits sind die nächsten regelmäßigen Betriebsratswahlen nicht mehr besonders fern; sie finden bereits in der Zeit vom 1. März bis 31. Mai 2022 statt.

 

Einzelne Regelungen des Referentenentwurfs weisen indes durchaus Bezüge zur Pandemielage auf, so etwa das Einräumen von Rechten des Betriebsrats bei der Ausgestaltung von mobiler Arbeit.

 

Insofern mag der Referentenentwurf eines Betriebsrätestärkungsgesetzes auch eine Reaktion des BMAS darauf sein, dass der im Rahmen des „Arbeit-von-morgen-Gesetzes“ vorgeschlagene „Anspruch auf Home-Office“ in der Regierungskoalition zuletzt nicht durchsetzbar war.

 

Im Folgenden wird dargestellt, was im Referentenentwurf eines Betriebsrätestärkungsgesetzes konkret geplant ist und wie die geplanten Änderungen aus heutiger Sicht zu bewerten sind.

 

 

GESETZLICHE AUSGANGSLAGE

 

Gemäß § 16 Abs. (2) Satz 1 ArbZG sind die Arbeitgeber verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen, mithin Überstunden, Mehrarbeit und Sonn- und Feiertagsarbeit.

 

Darüber hinaus fehlt jedoch bislang im deutschen Recht eine ausnahmslose gesetzliche Verpflichtung für Arbeitgeber, die Arbeitszeit aller Arbeitnehmer vollständig zu erfassen und zu dokumentieren; eine solche Verpflichtung besteht bislang nur für einzelne Gruppen, etwa im Bereich der geringfügigen Beschäftigung nach dem MiLoG.

 

 

HINTERGRUND DES BETRIEBSRÄTESTÄRKUNGSGESETZES

 

Der Referentenentwurf nennt in seiner Begründung zur Notwendigkeit der angestrebten Änderungen die „geringe Anzahl an Betriebsratsgremien“. Laut den Zahlen des Betriebspanels 2019 des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung verfügten nur noch 9 % der betriebsratsfähigen Betriebe in Westdeutschland (1996 noch 12%) und 10 % der betriebsratsfähigen Betriebe in Ostdeutschland (1996 noch 1%) über einen Betriebsrat und nur noch rund 41 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Westdeutschland (1996 noch 50%) sowie 36 % in Ostdeutschland (1996 noch 40%) würden von Betriebsräten vertreten. Die Ursachen hierfür seien vielfältig, „durchaus denkbar“ sei es, dass Arbeitnehmer, besonders in kleineren Betrieben, bewusst auf die Gründung eines Betriebsrats verzichteten. Andererseits würden sich „Berichte häufen“, dass in manchen Betrieben Arbeitgeber „mit zum Teil drastischen Mitteln“ die Gründung von Betriebsräten verhinderten. In kleineren Betrieben könnten daneben die Formalien des regulären Wahlverfahrens eine Hemmschwelle darstellen, die es bei der Organisation einer Betriebsratswahl zu überwinden gelte.

 

 

ZIELE DES REFERENTENENTWURFS

 

Laut der Begründung des Referentenentwurfs hat die Bundesregierung es sich zum Ziel gesetzt, die Gründung und Wahl von Betriebsräten zu fördern und zu erleichtern sowie diejenigen Arbeitnehmer besser zu schützen, die sich für die erstmalige Wahl eines Betriebsrats engagieren.

 

Zudem sollen Betriebsräte vor dem Hintergrund der Digitalisierung besser in die Lage versetzt werden, mit dem Arbeitgeber konkrete Maßnahmen der Berufsbildung zu vereinbaren.

 

Des Weiteren sollen beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Betrieb die bestehenden Rechte der Betriebsräte gesichert werden.

 

Unter Beachtung des Vorrangs der Präsenzsitzung sollen Betriebsräte die Möglichkeit der Teilnahme an Betriebsratssitzungen mittels Video- und Telefonkonferenz dauerhaft nutzen können.

 

Die datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit des Arbeitgebers bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch den Betriebsrat wird betont.

 

Weiter wird klargestellt, dass der Abschluss von Betriebsvereinbarungen unter Nutzung einer qualifizierten elektronischen Signatur möglich ist; entsprechendes werde für den Spruch der Einigungsstelle, den Interessenausgleich und den Sozialplan geregelt.

 

Schließlich sollen Betriebsräte ein Mitbestimmungsrecht bei der Ausgestaltung von mobiler Arbeit erhalten.

 

 

WESENTLICHER INHALT DES REFERENTENENTWURFS

 

Die wesentlichen Regelungen des Referentenentwurfs sind:

  • Ausweitung des vereinfachten Wahlverfahrens zur Betriebsratswahl (dieses zeichnet sich aus durch kürzere Fristen als im Normalverfahren und durch Anwendung der Grundsätze der Mehrheitswahl statt der Verhältniswahl); das vereinfachte Verfahren soll dann für Betriebe mit 5 bis 100 (statt bisher 5 bis 50) wahlberechtigten Arbeitnehmern verpflichtend und in Betrieben von 101 bis 200 (statt bisher 51 bis 100) wahlberechtigten Arbeitnehmern fakultativ möglich sein.
  • Einschränkung des Rechts von Arbeitgeber bzw. Wahlberechtigten zur Anfechtung einer Betriebsratswahl wegen Unrichtigkeiten der Wählerliste, wenn diese Unrichtigkeiten auf Angaben des Arbeitgebers beruhen bzw. wenn von Wahlberechtigten nicht zuvor Einspruch gegen die Richtigkeit der Wählerliste eingelegt wurde.
  • Ausweitung des besonderen Kündigungsschutzes für die Initiatoren einer Betriebsratsgründung: Kündigungsschutz soll nicht mehr nur für drei, sondern für sechs Initiatoren greifen und der Schutz soll nicht erst ab der Einladung zur Wahlversammlung, sondern unter bestimmten Voraussetzungen schon ab der Durchführung von Vorbereitungshandlungen zur Betriebsratsgründung bestehen.
  • Streichung der Altersgrenze für Auszubildende bei der Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung („JAV“): Beim aktiven und passiven Wahlrecht zur JAV soll nur noch auf den Status, nicht mehr aber auf das Alter (bisher noch nicht vollendetes 25. Lebensjahr) abgestellt werden.
  • Ausweitung der Rechte des Betriebsrats bei der Berufsbildung: Anders als derzeit soll die Möglichkeit der Einschaltung der Einigungsstelle zur Vermittlung bestehen.
  • Erleichterte Hinzuziehung eines Sachverständigen für Informations- und Kommunikationstechnik („ITK-Technik“) durch den Betriebsrat beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz und von ITK-Technik im Betrieb: Die Erforderlichkeit der Hinzuziehung des Sachverständigen durch den Betriebsrat soll im Bereich ITK-Technik stets als gegeben gelten und lediglich noch eine Einigung der Betriebsparteien über Person und Kosten des Sachverständigen notwendig sein.
  • Schaffung einer dauerhaften Option für die Teilnahme an Betriebsratssitzungen mittels Video- und Telefonkonferenz: Die bislang nur bis 30.06.2021 (§ 129 BetrVG; Sonderregelung anlässlich der COVID-19-Pandemie) geltende Möglichkeit des Betriebsrats, Sitzungen mittels Video- und Telefonkonferenz durchzuführen, soll dauerhaft bestehen.
  • Klarstellung, dass der Abschluss von Betriebsvereinbarungen unter Nutzung einer qualifizierten elektronischen Signatur möglich ist: Das Gleiche soll für den Spruch der Einigungsstelle und für den Interessenausgleich sowie den Sozialplan gelten.
  • Festlegung des Arbeitgebers als Verantwortlichem im Sinne der Datenschutz-Grundverordnung bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch den Betriebsrat.
  • Einführung eines neuen „echten“ Mitbestimmungsrechts (neue Ziffer im Katalog des § 87 BetrVG) bei der Ausgestaltung mobiler Arbeit.

 

 

BEWERTUNG DES BETRIEBSRÄTESTÄRKUNGSGESETZ

 

Einige Regelungen des Referentenentwurfs, insbesondere die Regelungen in Bezug auf die Rechte des Betriebsrats beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Betrieb sowie hinsichtlich der Durchführung von Betriebsratssitzungen mittels Video- und Telefonkonferenz, erscheinen sowohl vor dem Hintergrund fortschreitender Digitalisierung als und auch angesichts von Pandemiesituationen folgerichtig und sachgerecht.

 

Andere Inhalte des Referentenentwurfs sind dagegen kritisch zu betrachten:

 

Bereits die Begründung für die vermeintliche Notwendigkeit der Ausweitung des Sonderkündigungsschutzes von Initiatoren von Betriebsratsgründungen – wonach sich „Berichte häufen“ sollen, dass in manchen Betrieben Arbeitgeber „mit zum Teil drastischen Mitteln“ die Gründung von Betriebsräten verhinderten – erscheint wenig fundiert. Zudem ist die Behinderung von Betriebsratswahlen bereits derzeit strafbar gemäß § 119 Abs. (1) Nr. 1 BetrVG, so dass die Notwendigkeit weiterer Verschärfungen übertrieben erscheint.

 

Schließlich ist zu erwarten, dass einige der Regelungsvorhaben zu erheblichen Kostenaufwänden auf Arbeitgeberseite führen würden. Auch im Referentenentwurf selbst wird ausgeführt, dass ein „Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft“ entstehen wird, der im Entwurf auf EUR 4.044.500,00 pro Jahr (!) geschätzt wird.

 

Dieser Aufwand resultiert insbesondere aus der Möglichkeit der Anrufung der Einigungsstelle im Rahmen der ausgeweiteten Rechte des Betriebsrats bei der Berufsbildung und beim neu einzuführenden echten Mitbestimmungsrecht bei mobiler Arbeit sowie aus der erleichterten Hinzuziehung eines Sachverständigen für ITK-Technik; insoweit ist bereits nicht nachvollziehbar, weswegen per se jeder Einsatz von ITK im Betrieb von vorneherein den Einsatz eines Sachverständigen erfordern soll; auch hier muss weiterhin – unter Beachtung des Interesses des Arbeitgebers an der Begrenzung seiner Kostentragungspflicht und insbesondere in Ausschöpfung betriebsinterner Erkenntnisquellen – die Erforderlichkeit im jeweils konkreten Einzelfall geklärt werden.

Letztlich bleibt aus Arbeitgebersicht zu hoffen, dass „am Ende“ nur Teile des Referentenentwurfs „übrig bleiben“. Eine jedenfalls teilweise Umsetzung ist aber wahrscheinlich, zumal dessen Regelungen ihren Ursprung schon im Koalitionsvertrag haben.

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Dr. Oliver Hahn

Partner · Gründer

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht

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